ÖWR Enquete 7. Mai 2019
Selbst- und Ko-Regulierung in der modernen Kommunikationswelt
Wien, 07. Mai 2019 – Die Funktions- und Wirkungsweisen von Selbstregulierungssystemen und deren Transformation in die moderne Kommunikationswelt standen am 07. Mai 2019 im Mittelpunkt der Enquete des Österreichischen Werberates im RadioKulturhaus bei der rund 100 hochkarätige Experten aus Politik, Wirtschaft und Medien teilnahmen.
Präsentiert und diskutiert wurde u.a. über starke Netzwerke und ihre Selbstregulierung, über Chancen und Möglichkeiten von Selbst- und Ko-Regulierungs-Systemen, die Umsetzung der AVMD-RL in der Lebensmittelwerbung und die Rolle des Werberates in der modernen Kommunikationswelt.
„Das Tempo der Veränderung in der modernen Kommunikations- und Werbebranche hat sich massiv beschleunigt“, stellte ORF-Generaldirektor Dr. Alexander Wrabetz in seinen Begrüßungsworten fest. „Wir alle sind davon betroffen und müssen uns die Frage stellen, wie wir darauf reagieren können“. Konkret stellt Wrabetz die Frage: „Wie kann der Gesetzgeber national unterstützt werden, um auf Veränderungen rasch reagieren zu können?“. Entsprechend wichtig sei in diesem Zusammenhang ein Level Playing Field, genauso wie Standards von Beurteilungen, auch mit neuen Playern: „Wenn alle Marktteilnehmer gemeinsam mit der Werbewirtschaft daran arbeiten, können wir diese Rahmenbedingungen schaffen“, als Plattform dafür eigne sich der Österreichische Werberat als etabliertes Selbstregulierungsinstrument.
Impulse - national
„Die Umsetzung der europäischen Audiovisuellen Mediendienste Richtlinie für Österreich gibt uns rund alle 10 Jahre die Chance, die bestehenden Kodexvorgaben zu prüfen, sie an die gesellschaftlich/politischen Entwicklungen anzupassen und dadurch die Selbstregulierung zu schärfen”, erkärt Michael Straberger im Zuge seines Impuls-Statements. Und: „Wir verstehen die politisch gewollten und funktionierenden Instrumentarien als von der Werbewirtschaft akzeptiertes Service, korrigierend in wirtschaftliches Agieren einzugreifen, organisatorischen und finanziellen Aufwand für Auftraggeber, Agenturen und Medienunternehmen klein zu halten, aber auch als Entlastung der staatlichen Verwaltung“, so Straberger weiter.
International
Impulse aus europäische Sicht gab Stéphane Martin, President des europäischen Werberats EASA (European Advertising Standards Association). In einem umfangreichen Vortrag stellte er einerseits Tätigkeiten und Schlüsselinitiativen der Selbstregulierungssysteme in Europa vor und erklärte anderseits die wichtigsten Veränderungen im Hinblick auf die neue AVMD-RL: „We are sure, we have an effective Selfregulation in Europe“. Im Hinblick auf die neue AVMD-RL ist die EASA vor allem bemüht, Digital Player in den Prozess der Selbstregulierung angemessen einzubinden sowie die wichtige Rolle der Selbstregulierung hervorzuheben.
Die Dekade eines neuen WIR
Einen eindrucksvollen Blick über den Tellerrand bot Mag. Dr. Harald Katzmair, GF und wissenschaftliche Leiter von FAS.research GmbH, in seinem Vortrag über den „Werberat im Zeitalter von Social Bots und Deep Fake“ oder die „Dekade des neuen Wir“ mit der grundlegenden Frage verbunden, was ein Netzwerk stark macht.
Ausgehend von der These, dass eine Gruppe nur dann exzellent sein kann, wenn sie von innen ihre eigene gemeinsame Identität und Währung schafft, stellt sich die Grundfrage, woran diese Exzellenz bemessen werden kann. Mit anderen Worten: Was ist ein Kriterium für einen guten Werber in der modernen Welt?
In einer Medienwelt, die geprägt ist vom Bestreben nach der Maximierung von limbischen Resonanzen, in der künstliche Intelligenz die menschlichen Schwächen bereits heute übersteigt und deren neue Währung die soziale Belohnung (Social Reward) ist, bei gleichzeitiger algorithmischen Radikalisierung, stellt sich die Frage, was diese Entwicklungen bewirken: „In erster Linie Fragmentierung genauso wie den Verlust der sozialen Kohäsion“, so Katzmair. Beides führt zu einer Vertrauens- und Wahrheitskrise. Der Trend in der Werbung sind jedenfalls nicht-invasive Sensoren, die überall angebracht sind und den Content variabilisieren. Techniken wie Deep Fake und Artificial Intelligence basierte Social Bots sind dabei die gängigen Mittel.
Die Rolle für den Werberat sieht Katzmair klar darin, Vorbilder und Anreize zu schaffen: „Selbstregulierung heißt immer, dass wir in uns selbst investieren“. Mit allen Stakeholdern einer Gruppe muss demnach ein gemeinsames Lagebild geschaffen werden. Es gilt Fragen, nach dem Ökosystem, nach den Vorbildern in einer Gruppe zu stellen und darauf Antworten zu finden. „Wir müssen unsere eigene Stimme finden, eigene Benchmarks definieren“. Der Werberat als Ort der Aufklärung und des Experimentierens kann dazu beitragen einen gemeinsamen Bildungssinn zu entwerfen und schließlich ein neues Wir zu finden und Exzellenzkriterien zu entwickeln.
Panel 1 - „Über Funktions- und Wirkungsweisen von Selbstregulierungssystemen & deren Transformation in die moderne Kommunikationswelt“
Systemwelten & ihre Ausprägungen
Inspiriert und motiviert ging es in die anschließende Diskussionsrunde. Unter der Leitung von Mag. Gerald Grünberger, GF Verband Österreichischer Zeitungen, wurde ein Diskurs über Selbst- und Ko-Regulierungs-Systemen geführt und deren Einsatz in den verschiedenen Themenbereichen und Medienfeldern.
Eine klare Trennung der Wirkungsbereiche von Selbstregulierung und staatlicher Regulierung forderte zu Beginn HR Dr. Hans Peter Lehofer (Verwaltungsgerichtshof) und kritisierte gleichzeitig ko-regulierende Maßnahmen: „Es fehlt die demokratische Legitimation, wenn Selbstregulierungsentscheidungen getroffen werden, die dann verbindlich erklärt werden sollen“. Auch im Sinne der Durchsetzungsmöglichkeit gab Lehofer zu bedenken: „Wenn es die staatliche Seite nicht schafft einen Bereich zu regulieren, wie kann dies der Selbstregulierung gelingen, der ja keine Zwangsmittel wie zum Beispiel Verwaltungsstrafen zur Verfügung stehen?"
Dieser biometrischen Gegenüberstellung der Systemwelten kann Dr. Thomas Höhne (Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte) nichts abgewinnen: „Wir brauchen beide Systeme im Miteinander“. Jedes System hat Instrumente des anderen integriert: „Auch staatliche Regulierung ist zu einem gewissen Maße Selbstregulierung. Werden doch bei Gesetzesentwürfen Meinungen von Stakeholdern mittels Begutachtungsverfahren ebenso abgefragt“. Und diese Hereinnahme der Stakeholder-Gruppen ist Kern jeder Selbstregulierungsinstitution, müssen sich doch gesellschaftliche Interessen in seiner Breite widerspiegeln. „Durchsetzung im Sinne von Selbstverpflichtung ist die Essenz des Werberates“, so Höhne abschließend.
Auch für Dr. Klaus Kassai (ORF – Abt. Recht & Auslandsbeziehungen) ist das skizzierte Schwarz-Weiß-Bild nicht nachvollziehbar: „Eine Regulierungsfunktion kann zwischen Interessensvertretungen und Behörde aufgeteilt werden. Die Möglichkeiten der Zusammenarbeit sind vielfältig“. Im Vordergrund solle die Frage der Compliance aller Marktteilnehmer stehen, was eine breite Diskussion und die Festlegung von Verhaltenskodizes im Rahmen der Ko-Regulierung erfordere. Demgegenüber sei das derzeitige System des Führens von „Verwaltungsstrafverfahren“ durch die Medienbehörde weniger zielführend, und in Zukunft eher als letztes Mittel für krasse Fälle vorzusehen. Vor dem Hintergrund einer sich rasch ändernden Medienwelt, sei es daher das Ziel, die Nutzung der Stärken beider Systeme zu forcieren und diese optimal einzusetzen. Für den Werberat bedeutete dies dann insbesondere eine breite inhaltliche Ausrichtung auch für wichtige Fragen der Transparenz und Kennzeichnung von kommerzieller Kommunikation.
Die Vorteile von Selbstregulierung stellte Dipl. Kffr. Corinna Drumm (GF vom Verband Österreichischer Privatsender) dar: „Selbstregulierung ist günstig und schnell in der Umsetzung und kann sich rasch an gesellschaftliche Entwicklungen anpassen“. Die Nähe der Gremien zu den selbstbetroffenen Objekten setze den Anwendungsfällen jedoch Grenzen. Die Frage nach den Anforderungen an eine Selbstregulierung in sich ändernden Marktbedingungen beantwortete Drumm: „Die Regulierung internationaler Plattformen scheitert oft am fehlenden Ansatzpunkt. Der Werberat kann in diesen Bereichen informieren, Konsumenten aufmerksam machen und Awareness bei den Wirtschaftstreibenden schaffen“. Die Umsetzung solcher Aufklärungsmaßnahmen könne etwa vom Österreichischen Werberat durchgeführt werden.
Den unternehmerischen Aspekt brachte KR Mag.a Angelika Sery-Froschauer (Obfrau FV Werbung WKÖ, Vizepräsidentin der WK OÖ, sery* brand communication) ein: „Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Medien- und Kommunikationsstandortes Österreich. Unnötige Belastungen und bürokratische Hemmnisse schaden Unternehmen“. Selbstregulierung sei eine wesentliche Ergänzung zu gesetzlichen Regelungen und trägt dazu bei, das Gesetzgebungssystem effizienter zu gestalten. Mit diesen Werbestandards kann schnell, flexibel und praxisgerecht auf Entwicklungen im Markt und in der Gesellschaft reagiert werden. Unbürokratische Verfahrensstrukturen garantieren eine zeitnahe und effiziente Reaktion auf Fehlverhalten im Markt. Gleichzeitig entlastet dieses System die Wirtschaft von Überwachungs- und Verwaltungskosten durch den Staat. „Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Herstellung des Interessensausgleichs. Und wir brauchen ein neues Mindset insbesondere auch zur Bewältigung der digitalen Herausforderungen, um auch weiterhin eine Gesamtverantwortung im österreichischen Selbstregulierungssystem zu übernehmen“, so Sery-Froschauer abschließend.
Fazit: In sich rasch ändernden Marktverhältnissen sind Selbstregulierung und staatliche Regulierung gleichermaßen gefordert, ihre Instrumente zu hinterfragen und im Miteinander Lösungen zu finden. Welches System dabei welche zusätzlichen Aufgaben übernehmen soll, ergibt sich aus den geänderten Umfeldern. Wichtige Themen dabei sind jedenfalls: Transparenz, Durchsetzung sowie Informations- und Aufklärungsmaßnahmen über neue Technologien und deren Wirkungsweisen.
Über den Österreichischen Werberat:
Der Österreichische Werberat (ÖWR) ist ein unabhängiges Organ des Vereines „Gesellschaft zur Selbstkontrolle der Werbewirtschaft“. Der ÖWR fördert mittels freiwilliger Selbstbeschränkung der Österreichischen Werbewirtschaft das verantwortungsbewusste Handeln der Werbewirtschaft und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit. Die Zuständigkeit des Werberates erstreckt sich auf alle Maßnahmen im Bereich Wirtschaftswerbung. Im Detail hat der ÖWR die Aufgabe Fehlentwicklungen bzw. Missbräuche in der Werbung zu korrigieren und dient damit sowohl dem Konsumenten als auch verantwortungsbewussten Werbeunternehmen.
Pressekontakt:
Mag.a Andrea Stoidl
M+43 (0) 664 817 9693
E andrea.stoidl@werberat.at
W www.werberat.at
Fotomaterial - alle Fotos © ÖWR/Katharina Schiffl
Weitere Impressionen zur Enquete finden Sie hier
Michael STRABERGER (ÖWR Präsident) und Gen. Dir. Dr. Alexander WRABETZ (ORF)
Keynotesprecher der ÖWR Enquete (v.l.n.r:)
Stéphane MARTIN (EASA Präsident), Mag. Dr. Harald KATZMAIR (FAS.research Sozial- wissenschaftliche ForschungsgesmbH.), Mag. Andreas KADI, MBA (FV Lebensmittelindustrie)
Michael STRABERGER (ÖWR-Präsident) und Stéphane MARTIN (EASA Präsident) mit den Diskussionsteilnehmern – Panel 1 (v.l.n.r):
Dr. Thomas HÖHNE (Höhe, In der Maur & Partner Rechtsanwälte), Dr. Klaus KASSAI (ORF-Abt. Recht & Auslandsbeziehungen), Dipl.Kffr. Corinna DRUMM (GF Verband Österreichischer Privatsender),
KR Mag.a Angelika SERY-FROSCHAUER (sery* brand communication – Obfrau FV Werbung WKÖ, Vizepräsidentin WK OÖ), HR Dr. Hans Peter LEHOFER (Verwaltungsgerichtshof) und Moderationsleitung – Mag. Gerald GRÜNBERGER (GF Verband Österreichischer Zeitungen)
v.l.n.r: Stéphane MARTIN (EASA Präsident), Mag.a Beatrice COX-RIESENFELDER (ORF-Enterprise GF), Michael STRABERGER (ÖWR-Präsident)
Michael STRABERGER (ÖWR-Präsident), mit den Diskussionsteilnehmern - Panel 2 (v.n.l.r:)
Dr. Peter REINECKE (Präsident – forum.ernährung heute), Moderationsleitung: DI Oskar WAWSCHINEK, MAS MBA (CR – Die Ernährung/Nutrition), Mag.a Angela TEML (Head of Coporate Communications – Nestlé Austria),
Dr. Michael BLASS (GF Agrarmarkt Austria Marketing GmbH), Mag. Andreas KADI, MBA (FV d. Lebensmittelindustrie) und Mag. Günter THUMSER (GF Österreichischer Verband der Markenartikelindustrie)