Chemie ist In

02.11.2016


Bild

Guten Tag,

ich schreibe Ihnen in Bezug auf den neuesten Werbeclip für die "Chemie ist In" Kampagne, die nun in den Kinos läuft (leider kann ich nicht sagen, ob diese auch im öffentlichen Fernsehen laufen, da ich dieses nicht empfange).
Der Clip handelt von einer jungen Frau, die mit ihrem Handy im Park ist und sich auf einer Bank niederlässt um selfies zu schießen. Dabei wird sie von einem Mann beobachtet; schon dies lässt sie eindeutig abweisende Körpersprache annehmen- sie fühlt sich durch seine eindeutige Beobachtung unwohl.
Der Clip möchte ausdrücken, dass Mobiltelefone nur mit Chemie prodiziert werden können und ohne sie nicht existieren würden- deshalb verschwindet plötzlich ihr Gerät, was der Mann sofort bemerkt und sich zu ihr auf die Bank setzt. Sie wendet sich ab, rutscht auf der Bank weg von ihm und zeigt eindeutig, dass sie sich unwohl fühlt. Er rutscht nach und kommt ihr immer näher, obwohl sie eindeutig zeigt, dass sie das nicht möchte - dann kommt das Logo der Kampagne und der Clip endet, ohne dass wir sehen, was weiter geschieht (vielleicht können wir dafür dankbar sein).
Ich arbeite selbst schon seit Jahren in der Promotion-Branche und habe viel mit Werbung zu tun, kenne die Probleme mit Stereotypen und Sexismus in der Branche und doch kam ich noch nie über einen Spot, der so übel aufstieß und mich mit einem starken Unwohlsein zurückließ. Auch habe ich noch nie wegen eines solchen Vorkommnisses Kontakt gesucht, doch hier ziehe ich die Grenze, in welcher Art Gesellschaft ich leben möchte.
Hier ein Link zu dem Clip: https://www.youtube.com/watch?v=9Iz9G_OCxw4
Mein Anliegen an dieser Stelle ist: ein Werbespot, der öffentlich gezeigt wird (und an junge Menschen gerichtet ist, die Berufe in der Chemie ergreifen sollen), diskreditiert sich, wenn er im Zuge seiner Werbefunktion auf öffentliche Belästigung von Frauen zurückgreift und diese normalisierend darstellt. Das zeichnet nicht nur ein schlechtes Bild von Männern, sondern marginalisiert ein großes Problem in der Gesellschaft, die noch immer damit kämpft, die Privatsphäre von Frauen zu respektieren.
Ich kenne nicht eine Frau, die keine Geschichte über unangenehme, oder gar gefährliche Situationen allein mit Männern erzählen könnte. Wie sich ein Opfer von Belästigung beim Sehen dieses Spots fühlt, möchte ich mir nicht vorstellen müssen.
Deshalb muss hier meiner Meinung nach gehandelt und der Spot aus dem Programm genommen werden.
Ich könnte noch lange und breit darüber schreiben, auf wie vielen Levels der Clip problematisch ist, doch ich denke Sie begreifen mein Problem.
Dem Büro der Kampagne habe ich bereits eine Email zukommen lassen, doch ich würde mich über jede Hilfe freuen, solche Spots nicht mehr sehen zu müssen und junge Menschen vor deren toxischem Einfluss zu bewahren.
Leider weiß ich nicht, inwiefern Sie durch Kontaktierung der Verantwortlichen etwas erreichen können, doch wenn Sie von weiteren Stellen wissen, an die man sich in so einem Falle wenden könnte, wäre ich überaus dankbar.
Vielen Dank für Ihre Zeit,


Bild

Entscheidung:
Der Österreichische Werberat spricht im Falle des beanstandeten Werbespots des Fachverbandes der Chemischen Industrie „Chemie ist in“ die Aufforderung in Zukunft bei der Gestaltung von Werbemaßnahmen sensibler vorzugehen aus.


Begründung:
Die Werberäte und Werberätinnen sind der Auffassung, dass die beanstandete Werbe-maßnahme hinsichtlich des Ethik-Kodex der Werbewirtschaft, konkret Artikel 2.1 Geschlechterdiskriminierende Werbung (sexistische Werbung) und 1.1 Allgemeine Werbegrundsätze nicht sensibel genug gestaltet wurde.
Der Spot arbeitet mit einer Reihe an Stereotypen, die jedoch keinen Beitrag dazu leisten, die Werbebotschaft zu transportieren. Das Entscheidungsgremium konnte die Intention des Auftraggebers nachvollziehen, doch weist darauf hin, dass bei der gewählten Art der Umsetzung, die empfangene Botschaft eine andere ist: So wird ein dreister Annäherungs-versuch eines dümmlich dargestellten jungen Mannes offensichtlich gegen den Willen einer Frau, gezeigt und als sexuelle Belästigung verstanden.

Demnach wird im Hinblick auf die Gestaltung der Werbemaßnahme zu mehr Sensibilität im Hinblick auf folgende Punkte des Ethik-Kodex geraten:
2.1. Geschlechterdiskriminierende Werbung
1. Werbung darf nicht aufgrund des Geschlechts diskriminieren.

1.1. Geschlechterdiskriminierende Werbung (sexistische Werbung) liegt insbesondere vor, wenn
a) Frauen oder Männer auf abwertende Weise dargestellt werden;
b) die Gleichwertigkeit der Geschlechter in Frage gestellt wird;

1.1 Allgemeine Werbegrundsätze
Werbung trägt somit soziale Verantwortung und muss auf die Rechte, Interessen und Gefühle von Einzelnen und Gruppen von Menschen Rücksicht nehmen.
1. Werbung soll vom Grundsatz sozialer Verantwortung geprägt sein, insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen vor dem vollendeten 18. Lebensjahr.

5. Werbung darf nicht die Würde des Menschen verletzen, insbesondere durch eine entwürdigende Darstellung von Sexualität oder anderweitig diskriminierende Darstellungen.