Großflächige Plakatwerbung für das "Laufhaus Neunkirchen" im öffentlichen Raum der Stadt Wiener Neustadt

10.06.2014


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Sehr geehrte Mitglieder des Österreichischen Werberates, am Donnerstag letzter Woche bin ich auf dem Weg zur Arbeit unverhofft eines auf dem Gebiet der Stadt Wiener Neustadt affichierten großflächigen Werbeplakates des "Laufhauses Neunkirchen" in der dortigen Wiener Straße, ca. auf Höhe der Nummer 125, direkt gegenüber der OMV-Tankstelle, ansichtig geworden. Selbiges Plakat befindet sich direkt an der letzten Schleife der Buslinie G auf dem Gebiet der Stadt Wr. Neustadt, keine drei Minuten Busfahrzeit entfernt von der Fachhochschule, einem daneben ansäßigen großen Weiterbildungsträger, einer bekannten Versicherung, einer großen Baumarktkette und einem Blumen-und-Garten-Großhandel und direkt neben einer Filiale der in Österreich erfolgreichsten Fastfoodkette. Auf diesem Plakat - siehe Bild im Anhang - ist eine dreiviertelnackte Frau in sonderbar verdrehter, sich anbietender Pose zu sehen, nebst dem Schriftzug "Laufhaus Neunkirchen" inkl. physischer Adresse und und Webadresse - diese lauten Beethovengasse 13 bzw. www.laufhaus-neunkirchen.com, wie Ihnen nun sicherlich so manches siebenjährige Kind, das dort mit seinen Eltern bei MacDonald's gegessen hat, Auskunft geben kann. Ich fühle mich von diesem Plakat in gröbster Weise gestört, beleidigt, erniedrigt und gedemütigt: als fühlender und denkender Mensch, der sich der Zustände, die Frauen (und Männer) in die (Zwangs-)Prostitution an (nieder-)österreichische Männer treibt, bewusst ist, und als mit Hirn, Herz, Gebärmutter, Vagina und Klitoris ausgestatteter Mensch - will sagen: als Frau. Offensichtlich geht es in diesem Fall aber nicht nur um mich und die vielen anderen sich in diesem Moment ebenfalls im Stillen oder in ihrem privaten Umfeld empörenden, gegenüber der Thematik nicht völlig abgestumpften Menschen. An den oben genannten Plakaten sind seit Ende letzter Woche jeden Tag Männer, Frauen, Jugendliche - BürgerInnen der Stadt Wr. Neustadt und der umliegenden Gemeinden - vorbeigekommen, die es sich nicht ausgesucht haben, in ihrem Alltag mit der in Österreich bestehenden Realität des Zur-Verfügung-Stehens von Frauenkörpern für männliche Machtausübung gegen Bezahlung durch den Anblick einer allem Anschein nach prostituierten, praktisch nackten Frau konfrontiert zu werden Dass in Österreich die zum Himmel schreiende, vom Gesetzgeber abgesegnete und wie die Luft zum Atmen verteidigte Realität besteht, dass jeder mit einem Penis geborenen Mensch sich den Zugang zum Körper einer ökonomisch bedürftigen migrierten Frau zum gefälligen Ge- und Missbrauch kaufen kann, wie es ihm beliebt, und dass offensichtlich genügend Männer dieses Landes auf diese großzügige in trauter Public-Private-Partnership ausgesprochene Einladung zum Spielen mit (nicht nur) heraushängender Zunge gerne und zahlreich genug angehoppelt kommen, um mehr als nur ein "Laufhaus" der affichierten Sorte florieren zu lassen, ist die eine Sache. Die andere Sache, ist, dass diese Realität uns Frauen, Mädchen und den trotz allen sie umgebenden Wahnsinn ihre Würde erhaltenden Männern auf offener Straße, an einer Plakatwand auf dem Grund einer Stadt, die zur Hälfte aus weiblichen Bürgerinnen besteht, in der Frauen arbeiten, Steuern zahlen, Kinder gebären, unentgeltlich aufziehen, ebenso unentgeltlich Pflegeaufgaben in der Familie übernehmen etc.etc. - dass uns diese Realität am helllichten Tage auf dem Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Essen, zum Abholen unserer Kinder, ins Gesicht gekotzt wird. Dies ist eine kollektive Demütigung und symbolische Vergewaltigung jeder einzelnen an diesem Plakat vorübergehenden oder -fahrenden Frau, jedes einzelnen minderjährigen Mädchens, bei deren bewusster Wahrnehmung es einfach nur mehr mit Max Liebermann gehalten werden kann: Man - und frau - kann gar nicht so viel fressen, wie man - und frau - kotzen möchte. Des Weiteren haben sicherlich auch genügend VolksschülerInnen dieses Plakat gesehen, die gerade einmal lesen gelernt haben und die sich in ihrem ABC-Ehrgeiz alle Mühe geben werden, Unternehmensnamen und Website entziffern und fortan "www.laufhaus-neunkirchen.com" als eines ihrer ersten Leseerlebnisse mit in ihr weiteres Leben nehmen dürfen. Jedes Kind, das Zugang zu einem Smartphone hat - also dieser Tage tatsächlich so gut wie j.e.d.e.s Kind - kann diese Website also innerhalb von Sekunden nach Ansicht dieses Plakats aufrufen, sich dort durch einem simplen Bestätigungsklick auf "Seite betreten" als "über 18" identifizieren und dann per Bild und Text detailliert über die von den "Mädchen" vorgenommenen "Dienstleistungen" informieren. Jedes Mädchen, jeder Bub, das bzw. der an diesen Plakaten vorbeifährt oder -geht, wird von diesen darüber informiert, dass in unserer Gesellschaft Männer Frauenkörper zur Benutzung kaufen, dass das entsprechende Angebot jederzeit - genauso wie Angebote für Essen, Kleidung, Spielzeug etc. - auf einer öffentlich affichierten Website einzusehen, ist - dass es sich hierbei also um etwas ganz Normales und nicht weiter zu Thematisierendes handelt. Ebenso kann ich Ihnen als regelmäßige Benutzerin der Buslinie G bestätigen, dass jeden Tag Dutzende internationaler AustauschstudentInnen der FH Wr. Neustadt an diesem Plakat vorbeikommen und dabei ein schlicht großartiges Bild dieses Landes vermittelt bekommen: Österreich und Wr. Neustadt - das Land und die Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten und der völligen öffentlichen Akzeptanz für den Kauf zum Zugang des Körpers eines ökonomisch bedürftigen Menschen durch einen anderen, der Geld und Macht besitzt! Es lebe die Öffnung der Grenzen nach Osten, es lebe der freie Fleischmarkt! Gleich gegenüber finden am BFI Wr. Neustadt übrigens Deutschkurse für Migrantinnen und Migranten statt, die zu einem beträchtlichen Teil aus den Haupt-Import-Ländern für die an Herrn Österreicher an Orten wie dem genannten "Laufhaus Neunkirchen" zwangs- und "freiwillig" (d.h. "nur" aus ökonomischen Zwängen, auf der Grundlage vergangener Missbrauchserfahrungen etc.) prostituierten Frauen stammen. Dass diesen hart arbeitenden KursteilnehmerInnen, die sich unter Einsatz all ihrer Kräfte bemühen, sich hier in Österreich eine würdige Existenz aufzubauen und sich natürlich wie alle anderen dieses Plakat Wahrnehmenden darüber im Klaren sind, welcher Nationalitäten die Frauen, die hier keine 45 Minuten entfernt von der ungarischen Grenzen den Zugang zu den intimsten Stellen ihres Körpers an österreichische Herrenmenschen verkaufen, ebenso schamlos ins Gesicht geknallt wird, welchen Platz die Frauen ihrer Länder - ihre Schwestern, Partnerinnen, Töchter, Mütter, Tanten und Cousinen - in dieser österreichischen Gesellschaft haben und wie unglaublich wenig Probleme diese Gesellschaft hat, das nicht nur hinzunehmen, sondern *im öffentlichen Raum* zu bewerben - das ist ein Maß an Zynismus, an Hohn, an eklatanter Menschenverachtung, das seinesgleichen sucht. Es erübrigt sich an dieser Stelle wohl anzumerken, wie unfassbar es jedem auch nur drei Mal täglich sein Hirn einschaltende Menschen erscheinen muss, dass es noch vor einigen Wochen einen öffentlichen und medialen Total-Aufruhr rund um gewisse Life-Ball-Plakate gab: Sobald auf einem öffentlich gezeigten Bild ein Mensch zu sehen ist, der einfach nur seinen nackten Körper zeigt und dabei nicht eindeutig einer der beiden Kategorien der klassischen Geschlechterdichotomie zuzuordnen ist, steht der Untergang des Abendlandes ins Haus. Wenn uns aber auf weit größeren Werbeflächen die Realität des totale Ausverkaufs des Körpers, der jeden einzelnen auf diesem Planeten wandelnden Menschen entwickelt, genährt und geboren hat, vor den Augen unserer eigenen Kinder von den Profiteuren dieses florierenden internationalen Fleischmarktes ins Gesicht gekotzt wird, ist uns das anscheinend keinen müden Seufzer mehr wert - denn mit denen kann man-n-'s ja machen. Das ist ja natürliche Lauf der Dinge, es handelt sich ja - God sei Dong - um *echte* Frauen, die hier nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes plakativ, sondern auch ganz real ausgebeutet werden - und damit kommen sie ja nur ihrer natürlichen Bestimmung nach. Passt scho. Wie mir seitens der Stadtgemeinde Neunkirchen versichert wurden, wurden ähnliche in der Vergangenheit auf ihrem Gebiet affichierte Sujets von dieser umgehend entfernt. Ich fordere Sie als Österreichischen Werberat auf, *so schnell als möglich* tätig zu werden und die *sofortige* Entfernung dieses (und eventuell weiterer bereits vorhandener) die Menschenwürde der Frau, des Kindes und auch des denkenden und fühlenden erwachsenen Mannes aufs Gröbste verletzenden und ein mehr als gefährliches gesellschaftliches Klima fördernden Plakates Neustadt einzufordern - ebenso wie das unentgeltliche Zur-Verfügung-Stellen aller auf diese Weise missbrauchten Werbeflächen der Gemeinde für eine Informationskampagne zum Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel des Frauenhaus Neunkirchen oder einer ähnlichen mit dem Thema Gewalt gegen Frauen befassten Einrichtung. Dass sich ähnliche Plakate und Werbemaßnahmen diverser Frauenfleischkonsumanstalten sicherlich an weniger zentralen Stellen an Landstraßen und Autobahnen im ganzen Land finden lassen, ist kein Grund, hier nicht klarstens Position zu beziehen - im Gegenteil: Wenn das gesellschaftliche Klima, das durch die großflächige Affichierung und apathische Hinnahme solcher Werbungen in den letzten Monaten und Jahren entstanden ist, jetzt bereits dazu führt, dass selbige von den Werbeverantwortlichen schmucker niederösterreichischer Kleinstädte bedenkenlos für ihr eigenes Stadtgebiet approbiert werden, dann ist der entsprechende öffentliche Diskurs mehr als überfällig. Hier hat der Österreichische Werberat eine enorme Verantwortung und Handlungsmacht, längst verschwommen und verlorene geglaubte Grenzen der Ver-war-ung des weiblichen Körpers wieder spürbar zu machen. Im Namen jedes kleinen Mädchens, das in der letzten Woche durch das Fenster des Autos seiner Eltern das "Laufhaus Neunkirchen" und seine Angebote in Form der abgebildeten verdrehten Frau kennengelernt hat, und jedes kleinen Mädchens, das zur Zeit auf der anderen Seite der ungarischen Grenze auf seine in Österreich das dringend notwendige Geld verdienende Mama wartet: Nutzen Sie Ihre Macht. Es ist 5 nach 12. Das angesprochene Plakat hängt nun seit mindestens sechs Tagen im öffentlichen Raum der Stadt Wr. Neustadt.


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Entscheidung:
Der Österreichische Werberat spricht im Falle der beanstandeten Werbemaßnahme „Laufhaus Neunkirchen“, die Aufforderung in Zukunft bei der Gestaltung von Werbemaßnahmen oder einzelner Sujets sensibler vorzugehen aus.

Begründung:
Die Mehrheit der Werberäte und Werberätinnen sind der Auffassung, dass die beanstandete Werbemaßnahme hinsichtlich des Ethik-Kodex der Werbewirtschaft, konkret Artikel 1.1 „Allgemeine Werbegrundsätze“ und 2.1 „Geschlechterdiskriminierende Werbung“ nicht sensibel genug gestaltet wurde.

Die Bewerbung von sexuellen Dienstleistungen ist gesetzlich nicht verboten und kann daher auch im öffentlichen Raum stattfinden. Dennoch ist dabei auf eine angemessene Art der Darstellung zu achten, die weder die Gefühle noch die Würde von Personen verletzt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass öffentliche Werbemaßnahmen sich in ihrer Wirkung auf Kinder und Jugendliche erstrecken, sofern diese etwa in Form von Plakatwerbung erfolgen. Im vorliegenden Fall ist die Textierung unbedenklich, doch die bildliche Gestaltung zeigt eine weibliche Person, spärlich bekleidet und in aufreizender rein sexualisierter Pose, auch wenn eine Produktbezogenheit gegeben ist.

Die Aufforderung zur Sensibilisierung bezieht sich vor allem auf die bildliche Darstellung und das Umfeld der Werbeplatzierung.

Im Detail wurden folgende Bestimmungen des Ethik-Kodex nicht ausreichend berücksichtigt:

1.1 „Allgemeine Werbegrundsätze“

1. Werbung soll vom Grundsatz sozialer Verantwortung geprägt sein, insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen vor dem vollendeten 18. Lebensjahr.
und

2.1. „Geschlechterdiskriminierende Werbung“ 

2.1.1. Werbung darf nicht aufgrund des Geschlechts diskriminieren,

d) wenn die Person in rein sexualisierter Funktion als Blickfang dargestellt wird, insbesondere dürfen keine bildlichen Darstellungen von nackten weiblichen oder männlichen Körpern ohne direkten inhaltlichen Zusammenhang zum beworbenen Produkt verwendet werden“.

e) eine entwürdigende Darstellung von Sexualität vorliegt oder die Person auf ihre Sexualität reduziert wird;

g) Werbung für sexuelle Dienstleistungen darf, soweit sie rechtlich zulässig ist, die Würde von Menschen, insbesondere von SexdienstleisterInnen, KonsumentInnen oder PassantInnen, nicht verletzen. Körper und insbesondere weibliche oder männliche Sexualität dürfen nicht unangemessen dargestellt werden. Dabei ist auch besonders auf die Platzierung und das jeweilige Umfeld des Werbesujets zu achten.